Grußwort von Erzbischof Stephan Burger

„Arbeit ist ein Grundmodus unserer Weltbeziehung: Wir werden zu empfindenden, denkenden, hoffenden, planenden Subjekten dadurch und darin, dass wir uns an der Welt abarbeiten […]“, so beschrieb es der Soziologe Hartmut Rosa vor gut einem Jahr. Für ihn ist die Arbeit folglich die Resonanzsphäre im Leben eines jeden Menschen. Wie sehr hat sich diese Resonanzsphäre in den vergangenen Monaten verändert? Durch die Corona-Pandemie müssen wir Arbeit neu denken – in vielerlei Hinsicht. Da bekommt die Vorstellung von Arbeit durch Anwesenheit am Arbeitsplatz eine neue Bedeutung, selbst traditionelle Institutionen, ja auch die Kirchen, haben in den vergangenen Monaten weitgehend auf Homeoffice umgestellt. Da bekommen auch die verschiedenen Berufsgruppen, die Arbeitsfelder eine neue Bewertung. Pflegerinnen und Pflegern wird applaudiert, die Diskussion um gerechtere Löhne für pflegendes Personal ist in vollem Gange. Mitarbeitende in Supermärkten und Lebensmittelläden, die all die Jahre oftmals zu wenig Anerkennung erfahren haben, gelten mit ihrer Arbeit als systemrelevant. Und da gibt es gleichzeitig die vielen Menschen, die sich auf einmal als sinnlos, manchmal auch arbeitslos erfahren. Die einen, die wirklich ihren Job aufgrund der Krise verloren haben, die anderen, die auf Kurzarbeit umgestellt worden sind, und manche, die einfach weniger zu tun haben, seit die Welt quasi still steht. So manch einer mag sich gefragt haben, was ihn oder sie noch ausmacht, wenn dieser wesentliche Teil der Weltpartizipation wegbricht.

Arbeit ist ein Grundmodus unserer Weltbeziehung. Arbeit ist folglich die freiheitliche Möglichkeit eines jeden Menschen, an dieser Welt teilzunehmen. Arbeit ist Partizipation. Welt, Gesellschaft, Wirtschaft und auch Kirchen werden sich wandeln in dieser Krise. In diesem Wandel stecken viele Potenziale: für diese Welt, für die Gesellschaft als Mitwelt, für unsere Umwelt. Werden wir Arbeitslosigkeit und damit arbeitslose Menschen in Zukunft anders bewerten? Werden wir weiterhin hinnehmen können, dass Menschen zu geringsten Löhnen in menschenunwürdigen Verhältnissen arbeiten? Werden wir die Ausbeutung der Natur auch weiterhin akzeptieren? Werden wir damit einverstanden sein, dass zugunsten des Wirtschaftswachstums eine wirkliche Partizipation nur weniger Personen möglich ist? Oder werden wir uns dafür einsetzen, dass alle Menschen nach ihren Möglichkeiten durch Arbeit an dieser Welt teilhaben können? Werden wir nach der Krise ein Umdenken gelernt haben, dass uns zu mehr Solidarität miteinander befähigt?

In einer Welt, in der die Resonanzsphäre der Arbeit nicht mehr selbstverständlich ist, sind wir mehr denn je herausgefordert, Teilhabe und Gerechtigkeit neu zu denken. Letztlich werden wir herausgefordert, Gemeinschaft neu zu denken. Und ich begrüße es, dass auf den Kurpfälzer Sozialtagen auch in diesem besonderen Jahr der Krise gemeinsam mit Politik, Kirchen und allen Interessierten über diese Herausforderung diskutiert wird. Eine Antwort auf die Frage, wie der Wandel aussehen müsste, wie Gemeinschaft aussehen müsste, lässt sich aus dem christlichen Glauben heraus bereits geben: gerecht, sozial und universal.

Ihr

Erzbischof Stephan Burger